Meine Punk-Sozialisation begann in den frühen Neunzigern und für jemanden, der 1983 geboren ist, recht typisch. Der Erstkontakt lief über die Toten Hosen und ihre Best of-Platte »Reich und Sexy« von 1993. Diese hörte ich erstmalig im Holland-Urlaub im Wohnwagen meines Vaters. Besonders faszinierte mich ausgerechnet das Quatsch-Lied »Eisgekühlter Bommerlunder«. Ich konnte nicht ahnen, dass dies die Musik sein würde, mit der ich mich auch heute noch 25 Jahre später am stärksten identifizieren konnte. An allgemein verfügbarer Musik folgte schließlich »Die Bestie in Menschengestalt« von den Ärzten. Neben der Kombination aus Humor und Aggressivität war es auch die politische Aussage viele Lieder, die mich anzog. Der wieder erstarkende Rechtsextremismus nach dem Ende der DDR in ganz Deutschland war allgegenwärtig, ich war dagegen und Punkrock definitiv der Soundtrack zu meinem erwachenden politischen Interesse.
Die Erschließung des großen Feldes Punk dauerte in den Neunzigern, lange vor Wikipedia, YouTube und Spotify, naturgemäß länger. Langsam tastete ich mich, meist mit Hilfe von Klassenkamerad*innen, Freunden oder deren Geschwistern, weiter vor. Über die Jahre entdeckte ich WIZO, Terrorgruppe, NoFX, Slime und regional bedingt Die Kassierer und die Lokalmatadore für mich. Fast alle zählen heute noch mehr oder weniger zu meinen Lieblingsbands. Die obligatorische Optik trug ich allerdings nur wenige Jahre. Hauptsächlich aus Gründen der Bequemlichkeit sah ich mit Anfang 20 wieder weitestgehend »normal« aus. Jeden Morgen vor der Schule den Iro stellen (Kipp-Iro kam nicht in Frage!) und Nietenlederjacken waren besonders im Winter eine Zumutung. Außerdem sind Turnschuhe zweifelsohne bequemer als 14-Loch-Stahlkappenstiefel.
Je weniger ich wie ein Punk aussah, desto wichtiger wurde es mir, etwas in der Szene zu tun. Versuche von Bandgründungen verliefen früh im Sand (wahrscheinlich besser für alle). In den frühen Nullerjahren engagierte ich mich in der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD), eine Partei mit dem Ursprung in der Punkszene. Kurz darauf fing ich an, kleine unkommerzielle Konzerte im Ruhrgebiet zu veranstalten und schließlich für das Duisburger Punk-Fanzine Plastic Bomb zu schreiben.
Um 2010 bemerkte mein Studiumskollege Martin Seeliger, dass es bisher noch keinen wissenschaftlichen Sammelband zu deutschem Punk gibt. Kurzum entschieden wir, so einen zusammen zu stellen. Das Resultat war 2013 das Buch »Punk in Deutschland. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven«, erschienen im transcript Verlag.
Während der Arbeit an diesem Buch beschäftigte ich mich erstmals theoretisch mit Punk. Zuvor war ich eher praktisch veranlagt und las fast nie Bücher zum Thema. Ich bemerkte erstmalig wie queer diese Subkultur startete und wie schnell sie heterosexuell wurde. Gern wollte ich mehr darüber erfahren, fand jedoch nicht ausreichend Material. Da kam die Idee auf, dass wohl ich dieses Buch schreiben müsse. DIY halt. Das Resultat ist »Homopunk History«, das Buch zu dieser Seite.
Noch in paar Hardfacts: Mein Studium an der Ruhr-Universität Bochum habe ich als Diplom-Sozialwissenschaftler abgeschlossen. Hauptberuflich bin ich als Pressereferent bei einen Wohlfahrtsverband beschäftigt. Zuvor habe ich von 2010 bis 2012 für eine Abgeordneten des Düsseldorfer Landtages und von 2012 bis Ende 2017 für eine Bundestagsabgeordnete in Berlin gearbeitet. Derzeit lebe ich in Berlin-Neukölln.
Philipp Meinert
Im Juli 2018